Tag 11

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Der Tag des vielen Fahrens

Wie immer stehen wir in größtmöglicher Frühe, vollkommen unausgeschlafen auf, um den größten Anteil unseres Gepäcks an einem sicheren Ort zu verstauen. Schließlich ist heute der Tag, der als der Tag in die Geschichte eingehen wird, an welchem wir in den Norden Nicaraguas aufbrechen werden. Planmäßig holen wir zuerst unsere nicaraguanischen Brüder und Schwestern ab, dann das Kamerateam und sein Equipment vom Flughafen in Managua. Das Filmteam von JenaTV wird uns die nächsten Tage im Norden begleiten, um einen Film über unseren Austausch zu drehen. Der erste Teil des Masterplans ist gut und schnell erledigt, während der nächste Abschnitt nicht in der Art und Weise erfüllt werden kann, wie es angedacht war. Am Flughafen ereilt uns die Hiobsbotschaft, dass die Ausrüstung der Filmtruppe konfisziert wurde, da ihnen irgendeine Genehmigung fehlt, welche ihnen ein problemloses Einreisen mit Filmutensilien dieser Dimensionen ermöglicht. Mir ist nicht gänzlich bekannt, aus welchem Grund derartige Hindernisse bei der Einfuhr solcher Gegenstände bestehen, aber vermutlich bestehen politische Hintergründe. Wir versuchen natürlich, die Flughafenbehörde davon zu überzeugen, dass der geplante Film über unseren Nicaraguaaustausch keinerlei Bedrohung für das politische Machtmonopol des Präsidentenpaares ist. Allerdings ist unser Erfolg lediglich darauf beschränkt, dass wir an das Ministerium für Tourismus verwiesen werden, welches wir prompt aufsuchen, um die Freilassung der Kameras zu beantragen, welche sich unverhofft in der Rolle politischer Gefangener sahen. Auf dem Weg dahin legen sich unsere Gesichter in Sorgenfalten, denn ein solcher bürokratischer Pfad verläuft sich schnell in einer Sackgasse oder führt durch einen solchen Anträgesumpf, dass das Durchqueren Monate dauern kann, Zeit die wir nicht haben. Als wir beim Ministerium angekommen sind, entspannen sich die Falten zumindest für einen Augenblick und weichen einem breiten Grinsen, denn das Ministerium für Tourismus, welches eben noch bedrohliche Schatten auf unsere Planung warf, gleicht von außen eher einer mediterranen Eisdiele. Die Größe ist, soweit ich das beurteilen kann, beinahe identisch, mit der Stärke der Besetzung sieht es ähnlich aus, und die Außenscheiben zieren mindestens genauso lustige, bunte Werbebilder. Der einzige größere Unterschied scheint der schwer bewaffnete Sicherheitsbeauftragte zu sein, welcher mit stummem Blick Wache hält. Im Ministerium sehen wir Schüler uns weitestgehend machtlos, weshalb wir draußen auf ein von den Erwachsenen erzieltes Ergebnis warten. Letztendlich lassen wir das Filmteam allein zurück, da wir schon genug Zeit verstrichen ließen. Nach langer Fahrt erreichen wir Jinotega, eine im Norden Nicaraguas liegende Stadt. Nachdem wir eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen haben, fahren wir zu einer Produktionsstätte, in welcher Kakaobohnen getrocknet und fermentiert werden. Dort bekommen wir einen detaillierten Einblick in diese wichtigen Schritte bei der Schokoladenherstellung. Ebenso erhalten wir eine erste Gelegenheit, unsere Fragen zu der Organisation „Sopexxca“ zu stellen. Sopexxca ist ein Dachverband für verschiedene Kooperativen und wird die nächsten Tage unsere Touren leiten. Nach weiteren Stunden Fahrt im Bus erreichen wir eine Gemeinde in den Bergen, welche den Namen „El Cua“ trägt. Anscheinend ist diese Häuseransammlung ein wichtiger Handelspunkt für den Norden Nicaraguas. Immer wieder überrascht mich an diesem Tag die Unermüdlichkeit unseres Busfahrers, welcher nach so vielen Stunden konzentrierten Fahrens noch immer mit seinem Humor begeistern kann. In einer kurzen Führung erfahren wir unter anderem, dass sich die Frauen El Cua’s auf heroische Art und Weise in der Revolution verhielten, indem sie zum Beispiel verletze versorgten und damit den Unmut der Regierenden auf sich zogen. Um diesen Einsatz zu würdigen, hat man für sie ein Lied geschrieben. Anschließend finden wir Gelegenheit, unsere Unterkunft für diese Nacht näher zu betrachten. Angeblich triefen aus einigen Zimmerwänden merkwürdige Flüssigkeit und alles ist voller Haare, Kaugummis und anderer erregender Dinge, während mein Kämmerchen durch seine schlichte Sauberkeit besticht. Schlafen werden wir wahrscheinlich trotzdem wie die Steine.

-Sandro-

Bildschirmfoto 2016-02-23 um 22.09.57