Tag 16
Ein Sonnenstrahl kitzelt uns an der Nasenspitze wach. Wir betrachten ihn als frechen Boten für einen neuen Tag, welcher wie erwartet ein straffes Programm für uns bereithält. Um nicht nur uns, sondern auch unserem Busfahrer einen schönen Start in den Tag zu ermöglichen, beschlossen wir, ausnahmsweise mal pünktlich zu sein. Als wir dann so willig und bereit vor dem Hostel stehen trifft uns der Schlag der Erkenntnis: Nicht nur wir können unpünktlich sein. Unser Fahrer ist allen Ernstes noch nicht da! Nun, immerhin bekommen wir mal Gelegenheit, über unser Verhalten nachzudenken. Also war diese Imitation seitens des Busfahrers in gewisser Weise wie der erhobene Finger einer mahnenden Mutter, welche dem Kind durch den Fingerzeig klar macht, dass sein Verhalten ein Fauxpas war. Gewiss wird uns diese Lektion weit länger im Gedächtnis bleiben als jede Moralpredigt. Auf jeden Fall sind wir froh, dass unserem Chauffeur nichts Ernstes zugestoßen ist und er kurze Zeit später eintrifft, um uns zum Vulkan Mombacho zu fahren.
Wir besteigen einen großen LKW, welcher einen Motor besitzt, der uns die sehr steile Straße nach oben fährt. Auf dem Weg zur Gipfelstation des Vulkans legen wir eine kurze Pause ein, welche wir zum Genießen der Aussicht nutzen. Von hier aus kann man schon einige Dinge erkennen, wie zum Beispiel eine Menge Bäume, ein paar vereinzelte Häuser und eine Stadt namens Granada. Nach der zweiten Etappe unserer aufregenden Fahrt finden wir uns vor einem Gebäude wieder, welches uns als ein Museum vorgestellt wird. Hier darf man sich einige eingelegte Schlangen, Knochen von Säugetieren, aufgespießte Insekten, welchen man die stummen Schreie von den Lippen ablesen kann, und andere spannende Sachen ansehen. Auch ein Modell des Vulkans gibt es hier, an welchem wir uns die verschiedenen, zur Auswahl stehenden Touren erklären lassen. Aufgrund des LKW-Fahrplanes entscheiden wir uns für eine Wanderung von mittlerer Größe sowie annehmbarer Schwierigkeitsstufe. Für diesen Zweck spalten wir unsere Gruppe in zwei Zellen auf, welche mit kurzer Zeitverzögerung den Mombacho unsicher machen. Unterwegs lernen wir unglaubliche Dinge, so funktioniert der Wald auf dem Vulkan wie ein Wasserspeicher, welcher sich bei Feuchtigkeit vollsaugt. Als ich unseren Guide darauf ansprach, dass ich bisher nur von einem Schwamm gehört habe, welcher in einer Ananas wohnt, allerdings noch nie ein Wort über Ananasse aufschnappte, welche in einem riesigen Schwamm wohnen erfuhr ich, dass es hier gar keine Ananasse gibt. Diese merkwürdigen Gewächse, welche wild an jedem Stamm wuchern sind viel mehr Bromelien, welche angeblich symbiotische Lebensgemeinschaften mit den Bäumen bilden. Neben den Bromelien wachsen aber auch einige Orchideen, von welchen die meisten im Moment allerdings nicht in Blüte stehen. Wir sehen uns einen Krater des Vulkans an, welcher unter einem dichten Blätterdach begraben liegt. In diesem Moment erscheint es uns unvorstellbar, dass es sich bei diesem Berg um einen aktiven Vulkan handelt, wenngleich die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruches sehr gering ist. Selbst bei unserem größten Staunen können wir unsere Kinnladen längst nicht so weit herunterklappen, wie es die Brüllaffen tun, welche mit ihrem Geschrei eine musikalische Untermalung darbieten. Beim Verlassen des Nebelwaldes fällt uns sofort auf, wie schnell sich das Klima und damit die Vegetation verändert haben. Man läuft nur einen Schritt aus der feuchten Wolke heraus, und sofort empfängt einen eine trockenere Umgebung mit anderen Pflanzen. Orchideen gibt es aber auch hier. So finden wir eine wunderschöne, violette Blüte, welche wir bereits im Wald zu sehen bekommen hatten. Allerdings fällt uns sofort auf, wie viel kräftiger die Blume durch das trockenere Umfeld und den Boden hier geworden ist. Wir konnten von einem Aussichtspunkt über eine große Entfernung auf das Land zu unseren Füßen blicken. Wir sahen den gigantischen Nicaraguasee, an welchem die Stadt Granada liegt. Auch erblickten wir die 365 Inselchen, welche vor Granada im Wasser sitzen. Die Entstehung dieser Inseln ist noch nicht vollends geklärt, also kann ein vulkanischer Ursprung nicht ausgeschlossen werden. Als wir die dampfenden Fumarolen sehen, erscheint es uns weit weniger fern, dass dieser steinerne Riese, auf welchem wir wandern, lediglich schläft. Diese Löcher speien ununterbrochen gasförmiges Wasser und einen schwefeligen Geruch aus.
Wieder im Microbus sind wir noch ein wenig betäubt von der Schönheit dieses Berges. Gemischt mit den Schwefeldämpfen vom Gipfel und der Vorfreude, mit welcher wir unserem nächsten Ziel, der ehemaligen Hauptstadt Granada, entgegenfiebern entsteht eine magische Müdigkeit, welche uns dösig macht. Für ein Nickerchen bleibt aber nicht viel Zeit, denn Granada ist schnell erreicht. Hier genießen wir neben der faszinierenden Kirche ein beflügelndes Poesiefestival. Zwar verstehen die meisten von uns nicht genug Spanisch, um die Gedichte zu verstehen, aber trotzdem erkennen die meisten von uns, dass wir es hier mit wahren Meisterwerken zu tun haben, womit ich sowohl die Gedichte selbst, als auch die Rezitationen. Da es sich um ein internationales Festival handelt, kann man ausgezeichnet die verschiedensten Variationen der Spanischen Sprache vergleichen. Die Vielfalt ist gigantisch, das Sprachspektrum reicht von Argentinischer bis zu Japanischer Aussprache und Intonation. Nach dem Vorlesen der literarischen Kunststücke beehrt uns ein angeblich überaus berühmter Musiker mit dem melodischen Klang seiner Stimme. Diesen Kerl haben wir übrigens schon beim Mittagessen am Nachbartisch beobachten können, allerdings hätte ich damals nicht gedacht, dass er nicht nur große Töne spuckt, sondern dies auch noch auf eine so bezaubernde Art macht. Als der Herr mit Singen fertig ist, beschließen wir, schlafen zu gehen, um uns für einen weiteren Tag zu kräftigen.
-Sandro-
Blick über Granada
Lila Orchidee
Schild auf dem Vulkanwanderweg
Im Nebelwald